Interview mit Prof. Axel Ockenfels

Axel Ockenfels studierte Wirtschaftswissenschaft in Bonn, wechselte dann an die Universitäten Magdeburg, Penn State und Harvard, bevor er als Emmy-Noether Nachwuchsgruppenleiter an das Max-Planck-Institut für Wirtschaftswissenschaft in Jena ging. Seit 2003 ist er Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität zu Köln. Seit 2020 leitet er dort den Forschungsbereich „Marktdesign & Verhalten“ im Excellenzcluster ECONtribute der Deutschen Forschungsgesellschaft. Ockenfels ist Mitglied der Europäischen, der Berlin-Brandenburgischen und der Nordrheinwestfälischen Akademie der Wissenschaften sowie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie an. Für seine Forschung erhielt er unter anderem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Advanced Grant des European Research Council und den Zukunftspreis der Universität zu Köln.

Ockenfels beschäftigt sich mit Marktdesign und Verhaltensforschung. Thema seiner Forschung sind unter anderem globale Lösungen für wirksamen Klimaschutz, effektives Strommarktdesign im Hinblick auf die Energiewende, Auktionsdesign, digitale Verkehrssteuerung und Finanzmarktdesign für algorithmischen Handel. Seine Expertise wird von Regierungen, Organisationen, Marktplätzen und Unternehmen nachgefragt.

Wie sind sie zum ersten Mal mit der Thematik Klimakrise in Berührung gekommen und wie lange arbeiten sie schon an Konzepten zur Lösung der Klimakrise?

Als Schüler habe ich mich bereits für Umweltthemen interessiert und für Umweltschutz engagiert. Damals wurden die Thesen des „Club of Rome“ (Zusammenschluss von Experten für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit, 1968 gegründet)  diskutiert und die internationale Klimadiplomatie machte ihre ersten Schritte. Das war auch ein Grund, warum ich Volkswirtschaftslehre studiert und schließlich bei Prof. Weimann, einem führenden Umweltökonomen Deutschlands, promoviert habe. Wissenschaftlich habe ich mich schon in der Promotion mit der Frage beschäftigt, warum Menschen tun, was sie tun, und welche Rolle dabei Fairness, Reziprozität, Wettbewerb und Kooperation spielen.

Sie sind im Bereich der Kooperationswissenschaft tätig. Können Sie dieses Feld kurz beschreiben und erklären, inwieweit Kooperation und Klimakrise zusammenhängen?

Der Klimawandel ist ein globales Problem. Ein Patchwork unilateraler Politiken einiger Staaten reicht nicht aus, um das Problem zu lösen. Das sieht man schon daran, dass die globalen CO2-Emissionen weiterhin fast ungebremst steigen, und zwar seit Jahrzehnten. In der Regel steigen die globalen Emissionen jedes Jahr um mehr als selbst ein hochindustrialisiertes und kohlelastiges Land wie Deutschland insgesamt ausstößt. Deutsche oder europäische Nebenziele sind für sich genommen wenig effektiv und verstellen den Blick für das Wesentliche. Klimapolitik darf sich nicht damit zufriedengeben, lokale Ziele zu erreichen, sondern muss sich daran messen lassen, ob es ihr gelingt, global CO2-Emissionen zu reduzieren. Leider sind die internationalen Klimaverhandlungen jedoch bisher gescheitert. Kyoto hat uns nicht weitergebracht und während sich zwar die Weltgemeinschaft in Paris auf ein gemeinsames Ziel verständigt hat, den Temperaturanstieg zu begrenzen, gab es keine Verständigung auf einen Weg dorthin. Es wurde einfach nur beschlossen, dass jedes Land beiträgt, was es will. Das kann aber nicht funktionieren.

Wieso kann das nicht funktionieren?

Das Klimaproblem ist im Kern ein Kooperationsproblem: Strengt sich ein Land an, trägt es allein die Kosten dafür, während sich der „Klimanutzen“ auf die Weltgemeinschaft verteilt. Ambitionierter, unilateraler Klimaschutz ist daher nicht im Eigeninteresse eines Landes. Sollen sich doch die anderen anstrengen.

Können Sie das genauer erläutern? Wie kann es sein, dass nicht kooperiert wird, obwohl doch alle Länder wissen, wie brenzlich die Lage ist?

Ein Gedankenexperiment illustriert das Dilemma, in dem wir uns befinden. Angenommen, jede von 200 Parteien (denken Sie etwa an die Länder der Erde) kann in einen gemeinsamen „Klimatopf“ investieren. Jeder investierte Euro wird verdoppelt und gleichmäßig auf alle 200 Parteien aufgeteilt. Die Idee dabei ist, dass Investitionen in den Klimaschutz den Klimawandel eindämmen und daher der gesamten Welt nützen. Die Verdopplung der Klimainvestition beschreibt diesen Klimanutzen in Weise. Die Verteilung des Nutzens auf alle Köpfe reflektiert, dass niemand von einem besseren Klima ausgeschlossen werden kann. Nun schauen Sie einmal auf Ihr Bankkonto und denken Sie einen Augenblick nach: Wie viel Geld würden Sie in dieser Situation in den Klimatopf investieren?

Unterstellen wir der Einfachheit halber, dass jede Partei ein Vermögen von 100 Euro besitzt. Wenn nun alle ihr gesamtes Vermögen in den Klimatopf stecken, würden alle Parteien ihren Wohlstand verdoppeln. Alle sind sich vollkommen einig, dass sich Kooperation auszahlt! Doch die individuellen Anreize sehen leider ganz anders aus. Ob ich nun alles investiere oder nicht, und ob in den Klimatopf insgesamt beispielsweise 16.400 oder 16.500 Euro investiert werden, spielt für die Gesamtheit der Parteien keine große Rolle. Für mich selbst aber schon! Denn für jeden Euro, den ich aus meinem Vermögen investiere, bekomme ich nur einen einzigen Cent zurück. (Ein investierter Euro bringt zwei Euro für die Welt, geteilt durch 200 ergibt einen Cent.) Die Kosten für die Klimainvestition müssen nämlich vollständig von dem Investor getragen werden; dieser bekommt jedoch im Gegenzug nur ein Prozent der Erträge seiner Investition zurück. Das ist für eigennützige Parteien ein schlechter Deal. So gibt es im Status Quo wenig Anreize für effektiven Klimaschutz – obwohl ihn sich alle wünschen! Der Klimawandel ist kein Informationsproblem – sondern ein Anreizproblem.

Aber nicht alle verhalten sich so egoistisch, oder?

Ja, es gibt auch selbstlose, altruistische Investitionen, und zwar besonders in Ländern, die sich das gut leisten können, wie etwa Deutschland. Aber genauso, wie es naiv wäre zu glauben, dass man im nationalen Kontext auf eine Steuerpflicht gänzlich verzichten und stattdessen auf freiwillige Spenden für öffentliche Güter wie Universitäten, Polizei, Straßen und die Gesundheitsversorgung setzen könnte, zeigt schon der Blick auf die fast ungebremst ansteigenden globalen CO2-Emissionen, dass es im globalen Kontext nicht ausreicht, allein auf altruistische Investitionen der Länder zu setzen.

Sie sprechen in diesem Kontext oft von Plünderungseffekten, was bedeutet das im Hinblick auf die Klimaproblematik?

Das Problem ist sogar noch gravierender als es unser Gedankenexperiment von oben nahelegt, denn ein bedeutender Teil der altruistischen Investitionen in den Klimatopf wird von den Klima-Egoisten geplündert, bevor sie einen Klimanutzen erzeugen können. Das liegt beispielsweise daran, dass die klimapolitisch oft favorisierten CO2-Mengenziele das Kooperationsproblem in ein (noch kniffligeres) Nullsummenspiel umwandeln: Je mehr sich ein Land anstrengt, desto weniger müssen sich die anderen anstrengen, um das Mengenziel zu erreichen. Wenn in Europa beispielsweise ein Unternehmen CO2-Emissionen reduziert, dann werden im Rahmen des Emissionshandels Emissionsberechtigungen frei, die an ein CO2-emittierendes Unternehmen anderswo verkauft werden, das dann entsprechend mehr CO2 ausstößt. Ähnliches passiert, wenn Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, weil sie dort eine weniger stringente Klimapolitik erwartet. Oder wenn das Öl, das wir im Verkehr einsparen, einfach woanders hin verkauft wird [und die globalen Öl-Preise durch die geringere Nachfrage sinken; Anm. d. Redaktion].  In all diesen Fällen subventionieren die Investitionen der Klima-Altruisten gewissermaßen die CO2-Emissionen der Klima-Egoisten. Ohne internationale Kooperation werden die Altruisten global nicht einmal das erreichen, was sie unter großen Anstrengungen zuhause durchsetzen.

Sie fordern eine Ausrichtung der Klimapolitik am Konzept der Reziprozität. Was ist Reziprozität und welche Rolle spielt Reziprozität in den Bemühungen die Klimakrise aufzuhalten? 

Reziprozität bedeutet Wechselseitigkeit: „Wir tun unseren Teil, wenn ihr euren tut.“ Die Kooperationsforschung zeigt, dass alle internationale Kooperation nur durch wechselseitige, gemeinsame Verpflichtung entstehen kann. Nehmen wir das Beispiel Atomwaffensperrvertrag: Ich verzichte auf Atomwaffen, wenn die Anderen es auch tun. Dieselbe Logik gilt für internationale Handelsabkommen genauso wie für den Abwasch in einer WG. Auch im Klima wird es ohne wechselseitig abhängige Klimastrategien nicht gehen. Das Wichtigste bei der Reziprozität ist, dass sie nicht nur Kooperationswillige vor Trittbrettfahrerverhalten und Plünderung des Klimatopfes schützt, sondern auch Kooperationsanreize für Unwillige schafft. Der Grund, warum viele Länder ihre Zölle nicht erhöhen ist nicht Altruismus, sondern die Sorge, dass andere Länder dann reziprok ihrerseits Zölle erhöhen. Auch dem Klima ist kaum geholfen, wenn Deutschland oder Europa gewaltige Anstrengungen für die Weltgemeinschaft unternehmen, der Rest der Welt aber nicht mitzieht.

Wie kann also internationale Kooperation erreicht werden?

Das Scheitern von Klimaverhandlungen ist kein unvermeidliches Schicksal.   Bei aller Komplexität hat sich eine Antwort klar herauskristallisiert: Verhandlungen über einen gemeinsamen CO2-Preis haben die beste Chance auf Erfolg – besonders, wenn man die Verhandlungen zunächst in einem  führt.

Warum sollte über CO2-Preise verhandelt werden?

Ökonomen empfehlen Preise, weil sie effektiv Konsum- und Produktionsentscheidungen verändern und transformieren. Das ist aber vielleicht nicht einmal der wichtigste Grund: CO2-Preise sind nämlich auch vergleichsweise leicht verhandelbar, flexibel umsetzbar, national sozial und international fair gestaltbar. Überdies führen sie wegen ihrer Transparenz und Vergleichbarkeit zu reziproken Reaktionen der Verhandlungspartner, die für jedwede internationale Kooperation unverzichtbar sind. Weil eine Bepreisung von CO2 außerdem dazu führt, dass bei allen Entscheidungen nicht nur der eigene Nutzen und die eigenen Kosten berücksichtigt werden, sondern auch die Kosten des eigenen Handelns für die Weltgemeinschaft, ist ein CO2-Preis auch ein inhärent altruistisches und moralisch gebotenes Instrument der Klimapolitik.

Gibt es Einschätzungen, wie hoch ein globaler CO2-Preis pro Tonne sein müsste, um das 1,5-Grad-Ziel/ 2-Grad-Ziel zu erreichen? 

Da gibt es große Unsicherheiten. Die Schätzungen liegen etwa bei 40 bis 200 Euro pro Tonne CO2. Doch aus verhandlungsstrategischer Sicht ist die Frage meines Erachtens zunächst einmal zweitrangig. In vielen Teilen der Welt ist der CO2-Preis durch Subventionen fossiler Energiegewinnung negativ, so dass global gesehen schon ein geringer CO2-Mindestpreis ein großer Fortschritt wäre. Wichtiger ist, dass ein koordinierter Mindestpreis, einmal eingeführt, vergleichsweise leicht angepasst werden kann, etwa wenn der Klimawandel ein aggressiveres Gegensteuern erfordert. Dagegen dürfte es beispielsweise unmöglich sein, für alle Länder immer wieder neue Mengenreduktionsziele zu verhandeln. Übrigens gilt, dass jede erwünschte Mengenreduktion durch einen geeigneten Preispfad erreicht werden kann.

Wie kann eine globale CO2-Bepreisung gerecht gestaltet werden?

Es ist schon richtig: Obwohl ein Preisziel die Barrieren einer gemeinsamen internationalen Verpflichtung massiv reduziert, werden dennoch nicht alle Länder einem ambitionierten Preisziel zustimmen wollen. Reziprozität hilft aber auch hier: Der so genannte Green Climate Fund, der im Rahmen der internationalen Klimapolitik Geld einsammelt, kann so eingesetzt werden, dass Anreize für möglichst ambitionierte Preisziele entstehen. Mit dem Green Climate Fund können Kooperation belohnt und Unterschiede in den Vermeidungskosten berücksichtigt werden. Neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass bei strategisch klug gewählten Verteilungsmechanismen des Green Climate Funds ein ambitioniertes Mindestpreisziel für viele Länder durchgesetzt werden kann. Die Verteilungsfragen wiegen bei Preiszielen übrigens grundsätzlich weniger schwer als bei Mengenzielen. Ein Grund dafür ist, dass die jeweiligen Erlöse der nationalen Klimapolitik im eigenen Land bleiben. Mit diesen Erlösen kann in die heimische Infrastruktur investiert, verzerrende Steuern gerade für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen gesenkt sowie Staatsverschuldung abgebaut werden.

Was kann der*die Einzelne tun, um dem Klimawandel entgegen zu wirken? Die Anpassung individuellen Konsumverhaltens ist Ihrer Ansicht nach ja nicht ausreichend. 

Es gibt viele gute Gründe für eine Änderung des Lebensstils in den reichsten Ländern der Erde, und wir tun gut daran, darüber nachzudenken, wie wir unser Leben und unsere Umwelt gestalten wollen. Klimaschutz ist nur einer der Gründe, und vielleicht nicht einmal der wichtigste. Wichtig für den Klimaschutz ist jedoch, dass wir über alle gutgemeinten und moralisch begründeten Handlungen nicht vergessen, für Politiken einzutreten, die die Transformation kraftvoll durchsetzen, die ein Modell für andere Regionen der Erde sein können und die wirksam Trittbrettfahren unterbinden. Introspektion ist dabei nicht immer ein guter Ratgeber. Und es geht auch nicht ohne unliebsame Maßnahmen. Aber es geht schließlich auch um sehr viel.

Parallel zu Fridays for Future hat sich unter anderem auch Scientists for Future gegründet. Wie kommt es, dass die Kooperationsforschung bisher nicht in gleichem Maße öffentlich auftritt? Welche Verantwortung hat die Kooperationswissenschaft dahingehend, sich stärker in den öffentlichen und politischen Diskurs einzubringen?

Unsere Botschaft ist leider unbequem und nicht in drei Minuten zu kommunizieren. Sie deckt sich auch nicht immer mit den Interessen von Gruppen aus den vielen unternehmerischen und politischen Lagern, die eine Chance sehen, von der berechtigten Sorge um den Klimawandel und den damit verbundenen enormen Geldströmen zu profitieren. Das macht es nicht immer einfach. Zuweilen gibt es auch unter Klimawissenschaftlern wenig Geduld, sich mit den Wissenschaften der Kooperation, Anreize und menschlichen Verhaltens auseinanderzusetzen. Allerdings steigt mit zunehmendem Frust über die Ineffektivität bisheriger Maßnahmen die Nachfrage nach unseren Erkenntnissen.

Herr Ockenfels, gibt es Entwicklungen, die Ihnen persönlich Hoffnung machen?

Eine Hoffnung, die ich habe ist, dass wir (irgend)eine sichere und zuverlässige grüne Energie entwickeln, die billiger ist als fossile Energie. Gelingt dies, wäre es fortan im Eigeninteresse aller Staaten und Unternehmen, die fossilen Ressourcen in der Erde zu lassen. Klimapolitik, Kooperation und internationale Verhandlungen wären überflüssig. Wer also nicht alle Hoffnung nur auf Kooperation setzen möchte, sondern auch unilateral dem Klimawandel etwas entgegensetzen möchte, sollte erwägen, Ziele für Forschung und Innovation zu formulieren. Nichts ist altruistischer und effektiver im Kampf gegen den Klimawandel als innovative grüne Ideen, die fossile Brennstoffe überflüssig machen.

Es gibt aber keine Garantie, dass wir schnell genug die notwendigen Technologiefortschritte machen, und es gibt auch keine Garantie, dass die Menschheit das Kooperationsproblem bewältigen wird. Internationale Kooperation ist eine fragile Angelegenheit. Ich bin aber vorsichtig optimistisch. Wenn wir die Erkenntnisse der Kooperationsforschung nicht ignorieren, gibt es eine Chance, dass sich ein „zusammenfindet, der die Verhandlungen nach jahrzehntelangem Scheitern zu dem Erfolg führt, den sich fast alle Länder und Menschen wünschen. Die Diskussionen um den Grenzausgleich sind beispielsweise eine große Chance für Europa, mit den USA und China über CO2-Mindestpreise zu reden. Es geht dabei nicht nur um etwas mehr oder weniger ökonomische Effizienz. Es geht um die Frage, ob die Weltgemeinschaft in dem vielleicht größten Dilemma der Menschheitsgeschichte vertrauensvoll zusammenarbeitet, oder aber sich in einem Patchwork selbstzentrierter Maßnahmen und diplomatischen Aktivismus verzettelt, um schließlich an sich selbst zu scheitern.

 

Wir Danken Ihnen für das Gespräch!